Schwung für Schwung die schneebedeckten Berghänge runterbrettern, die kalte Luft auf dem Gesicht spüren – für Uli Schmölz war es gar keine Frage, das wieder auszuprobieren. „Wie kannst du das wieder machen, alleine vom Kopf her?“, haben ihn viele gefragt. „Skifahren war immer ein großer Teil in meinem Leben“, sagt er. „Und wenn die Möglichkeit besteht – warum sollte ich das nicht wieder lernen?“
Das Skigerät, mit dem er seiner Leidenschaft nachgehen kann, hängt an der Wand in der Garage. Aus schwarzem Carbon ist es, mit einem Ski am unteren Ende, einer Hülse für die Beine und einem gefederten Sitz obenauf. Im Stehen fahren kann Uli nicht, denn er ist seit einem Skiunfall vor mehr als 20 Jahren querschnittsgelähmt.
Den meisten Platz in der Garage nimmt sein Auto ein, dessen Automatik-Getriebe er mit der Hand steuern kann. Ein Stück daneben steht sein Sportrollstuhl. Die abgeschrägten Reifen ermöglichen ihm, beim Basketballspielen schnell wenden zu können. Dass Uli auch sonst sportbegeistert ist, lassen seine muskulösen Oberarme erahnen. Er trägt Turnschuhe, eine lange Sporthose und ein lockeres Shirt, um seinen Hals hängt eine silberne Kette. Das Gesicht unter dem Dreitagebart ist braun gebrannt – Uli ist viel draußen unterwegs.
Landwirt mit umgebautem Traktor
An der frischen Luft ist Uli nicht nur in seiner Freizeit, sondern auch im Arbeitsalltag: Er hat mittlerweile den Bauernhof seiner Eltern übernommen und ist nebenberuflich als Landwirt tätig. Das dabei produzierte Heu verkauft er, außerdem beliefert er eine Biogasanlage mit Gras. Um selbstständig auf dem Feld arbeiten zu können, hat er seinen Traktor umbauen lassen. Ein kleiner Aufzug bringt ihn nach oben ins Fahrerhaus. Die Pedale zum Bremsen und Beschleunigen ersetzt ein Hebel, den Uli händisch bedient.
Nach dem Unfall 1999 schien sein heutiges Leben zunächst undenkbar. Sieben Monate verbrachte er in der Unfallklinik in Murnau. Gewohntes musste er Stück für Stück neu lernen, seine körperlichen Grenzen waren plötzlich viel enger. Anfangs dachte er sich immer wieder, „dass das Leben mehr oder weniger vorbei ist“. Seine Situation zu akzeptieren, war ein schleichender Übergang.
„Der Gedanke, du musst so dein Leben meistern, ist immer weiter in den Vordergrund gerückt“, erzählt er. Bestärkung fand er im Austausch mit anderen Rollstuhlfahrern – vor allem aber gab ihm der Sport eine neue Perspektive: „Am Anfang sitzt du im Bett und kannst nicht einmal gerade hocken. Und dann siehst du die einen Basketball spielen, die anderen gehen wieder Skifahren. Und dann war klar: Jetzt musst du dich auch mal damit abfinden.“
Basketball im Rollstuhl
Sobald es möglich war, fing er an, Basketball zu spielen. Seine Bewegungsmöglichkeiten zu testen, sich auszupowern und richtig zu schwitzen, tat ihm gut und gab ihm das Gefühl, etwas geleistet zu haben. Stück für Stück kam Uli so seinem Ziel, unabhängig zu sein und mit möglichst wenig Hilfsmitteln alleine leben zu können, näher. „Der Clou ist, zu schauen: Was geht noch? Und nicht den ein, zwei Sachen nachtrauern, die ich nicht machen kann“, sagt Uli heute. „Einen 6000er besteigen fällt raus, klar – aber hätte ich es früher überhaupt gemacht? Das ist halt auch die Frage.“
Nach seiner Entlassung aus der Klinik widmete er sich dem Basketball als Profi. Angetrieben vom „Ehrgeiz, was zu erreichen und zu schauen wie weit man kommt“, trainierte Uli hart und testete seine Grenzen aufs Neue aus – bis er mit seinem Verein schließlich über Jahre in der ersten Bundesliga spielte.
Vertrauen in sich selbst
Heute wohnt er auf dem Hof seiner Eltern, wo er sich eine Scheune zu einer ebenerdigen, rollstuhlgerechten Wohnung umgebaut hat. Uli will dabei möglichst auf Hilfsmittel verzichten: Die Türen sind ein wenig breiter, die Räume sind groß und mit viel freier Fläche zwischen den Möbeln. In der Küche etwa ist lediglich sein Herd länglich gebaut und, ebenso wie das Spülbecken, unterfahrbar.
Außerdem engagiert Uli sich ehrenamtlich im Rollstuhlsportverein Murnau. Nach seinem Unfall hat er hier Hilfe erfahren, die er jetzt an andere weitergeben will. Immer wieder besucht er auch Schulklassen und spricht mit den Schülern über seinen Alltag im Rollstuhl. An Grenzen werde er immer irgendwo kommen, sagt Uli. „Aber da muss man auch lernen, Hilfe anzunehmen. Und sei es bloß, wenn ich im Supermarkt an eine Packung nicht rankomme.“
„Ob stehend oder sitzend ist im Grunde mal egal.“
Uli Schmölz
Ob er glücklich ist? „Ja, auf jeden Fall. Mir geht’s gut“, sagt er und grinst. Für den 43-Jährigen ist klar: Das Leben lässt sich nicht planen. „Ich habe viele Sachen erlebt, die ich früher nicht erlebt hätte. Das ist auch die Kunst, das Positive zu sehen und nicht nur zurückzuschauen. Was ich Leute kennengelernt habe, was ich mit dem Basketball im Ausland unterwegs war. Das hätte ich früher wahrscheinlich nicht gehabt.“ Auf die bereichernden Momente im Leben komme es an – „ob dann sitzend oder stehend ist im Grunde mal egal.“