Mit betörendem Blick schaut die Schlange Kaa Mogli in die Augen: „Hör auf mich“, zischt sie ihm zu. „Glaube mir. Augen zu. Vertraue mir.“ Der kleine Junge ist nicht mehr Herr seiner Sinne. Mit geschlossenen Augen und einem verklärten Lächeln auf den Lippen setzt er sich in Bewegung und ist Kaa fortan willenlos ausgeliefert.
Viele Kinder sind mit diesem Bild von Hypnose aufgewachsen. Es vermittelt den Eindruck, dass Hypnose ein gefährlicher Geisteszustand ist, in dem man die Kontrolle verliert und nicht mehr selbstständig handeln kann.
Kann ich das Unbewusste wirklich manipulieren – oder ist es nicht vielmehr eine Hilfe, um die Psyche zu unterstützen? Das ist das Spezialgebiet von Julia Strondl. Sie sagt: Wir treten eigentlich ständig eine Reise ins Unbewusste an – vom Unterbewussten möchte Strondl nicht sprechen. Manchmal kann diese Reise sogar helfen, mit Problemen besser umzugehen.
Fokussierung bringt Entspannung
Dafür ist Strondl zuständig. Die Hypnotherapeutin unterstützt Menschen in ihrer Münchner Praxis am Englischen Garten zum Beispiel beim Wunsch nach Gewichtsreduktion, bei Ängsten wie jenen vor Flügen und Prüfungen oder gar bei Liebeskummer. Manche ihrer Klienten haben Burnout, Schlafstörungen, den Wunsch, mit dem Rauchen aufzuhören, oder wollen mehr Selbstbewusstsein entwickeln. Die Hypnose als Therapieverfahren für psychische oder psychisch bedingte Probleme ist auf kurze Zeit ausgelegt. Aktive Mitarbeit braucht es derweil von den Klienten: Hypnose ist keine „Zaubertherapie“, wie Strondl sagt. „Sie kommen zu mir, ich lege einen Schalter um und dann haben sie ein glückliches Leben: Das ist das häufigste Vorurteil, das mir begegnet.“
Bei einer Hypnose gehe es vor allem darum, die Klienten „zu einer anderen Aufmerksamkeit“ zu führen, erklärt Strondl. Dabei nutzt sie nicht wie die Schlange Kaa rollende Augen oder wie ein Magier ein Pendel. Wer bei Strondl auf dem Sessel sitzt, der konzentriert sich zunächst einmal auf den eigenen Körper – zum Beispiel durch gezielte Atmung. Ziel ist die Fokussierung auf das Hier und Jetzt. Die Therapeutin erklärt: Indem wir uns entspannen, an etwas ganz anderes denken, fallen uns neue Lösungen ein. Gestresste Menschen bleiben in ihren Problemen stecken. Das ist wie bei dem Namen des alten Bekannten, der uns einfach nicht einfallen will – und erst dann wieder in den Sinn kommt, wenn wir nicht mehr mit aller Kraft an ihn denken. Eine Trance wirkt in solchen Fällen wie ein Vehikel – sie ist gewissermaßen das Mittel zum Zweck.
Im Wesentlichen also ist Hypnose ein Zustand von Entspannung und Fokussierung. „Trance ist per Definition nichts anderes als die Fokussierung auf ein gewünschtes Erleben“, so Strondl. „Das ist alles.“ Diesen Zustand erlebe jeder Mensch immer wieder in seinem Alltag – sobald er sich auf eine Sache fixiere und seine Umgebung ausblende. Wenn man etwa ein gutes Buch liest und alles um sich herum vergisst.
Wenn ihr diesen Text bis hierher also so intensiv gelesen habt, dass ihr zum Beispiel die Nebengeräusche um euch herum ausgeblendet habt, dann wart auch ihr gerade höchstwahrscheinlich in einer Art Trance. Habt ihr nicht gemerkt? Das macht nichts. Das geht vielen Menschen so, sogar während einer Hypnosesitzung: Das ist euer Unbewusstes. Klar zu trennen ist es vom Bewusstsein nicht – auch hirnbiologisch nicht, sagt Strondl.
Was im Unbewussten liegt
Was genau das Unbewusste ist, lässt sich nur schwer definieren. Für die Hypnotherapeutin steht fest: „Das ist kein großes, magisches Feld, in dem irgendwelche genialen Lösungen rumdümpeln.“ Strondl bringt stattdessen einen anderen Vergleich: „Ich würde sagen, es ist ein großer Topf, in dem viele Erinnerungen gespeichert sind, aber eben unbewusst. Das heißt, wir haben keinen Zugriff darauf.“
„Das ist kein großes, magisches Feld, in dem irgendwelche genialen Lösungen rumdümpeln.“
Julia Strondl
Diese Erinnerungen sind mitunter aus gutem Grund tief abgespeichert – weil sie uns an tiefe Verletzungen, an Schmerz erinnern. Während der Therapie achtet Strondl deswegen darauf, diese alten Wunden nicht aufzureißen. Sonst droht im schlimmsten Fall eine Retraumatisierung. „Unser Hirn weiß schon ganz genau, warum es irgendwo den Deckel draufhält und warum es irgendwas hochkommen lässt“, sagt Strondl dazu. Sie ist nicht diejenige, die den Deckel hochhebt.
Gackernde Hühner und Zitronen
Das Unbewusste eines Menschen von außen so zu manipulieren, dass er Dinge tut, die er nicht tun will, ist also ausgeschlossen. Das gehe weder in der Showhypnose noch in der Hypnotherapie. „Unser Hirn hat einen viel zu hohen Schutzmechanismus, als dass ich den Klienten zu irgendwas bringen kann, was er nicht will“, bekräftigt Strondl. Niemand werde in einem hypnotischen Zustand ohne eigenen Willen dazu gezwungen, wie ein Huhn laut gackernd über die Bühne zu laufen. Sie spricht davon, dass Show- oder Bühnenhypnotiseure sehr genau darauf achten würden, wen sie sich für ihre Show aussuchen. Menschen mit einer hohen Bereitschaft dazu würden schon „halbhypnotisch“ die Bühne betreten: „Die wollen sich unbedingt selber beweisen, dass sie das alles tun, damit sie dann auch sagen können: Ja, ich bin echt wie ein Huhn über die Bühne gelaufen.“
„Unser Hirn hat einen viel zu hohen Schutzmechanismus, als dass ich den Klienten zu irgendwas bringen kann, was er nicht will.“
Julia Strondl
Also lässt sich unser Unbewusstes nicht manipulieren? Ganz so einfach ist es nicht. Zwar weiß das Gehirn es zu verhindern, dass ihm von einem Außenstehenden schlechte Gefühle oder gar Zwänge aufgenötigt werden. Wir selbst sind jedoch Meister der Manipulation – und zwar immer dann, wenn es um uns selbst geht. Denn wir tricksen uns ständig aus. Denkt etwa einmal an eine saftige Zitrone, in die ihr reinbeißt. Schmeckt ihr, wie sauer sie ist und wie der Speichel sich in eurem Mund sammelt? Alleine durch unsere Gedanken haben wir eine Körperreaktion hervorgerufen.
Zwischen Realität und Fiktion
So funktioniert auch Hypnose, sagt Strondl. Die Trance kann sogar Körperfunktionen wie Atemfrequenz, Blutdruck und Puls beeinflussen.
Mit ihren Klienten übt Strondl in der Hypnotherapie einen inneren Film ein: Bilder, die gute Emotionen bewirken und Ängsten etwa ein Gefühl von Sicherheit gegenüberstellen. Sich diese Bilder nur vorzustellen, reiche völlig aus, da unser Gehirn nicht zwischen Realität und Fiktion unterscheiden könne, sagt Strondl. Strondl führt ein Beispiel an, das jeder kennt: Auch bei einem Alptraum reagiert das Gehirn so, als würden wir die Traumsituation wirklich erleben. Wir spüren auch im Traum Angst oder Freude.
Im Augenblick der Entspannung und Fokussierung können wir also lernen, auf Ängste anders zu reagieren, neue, positive Gefühle „einzuspeisen“, die sich das Gehirn durch die häufige Wiederholung irgendwann merkt.
Kaa wird das nicht gefallen. Aber vielleicht allen, die selbst ein Problem angehen wollen, das sie in ihrem Leben begleitet. Das Unbewusste kann eine Hilfe dazu sein. Aber eines ist es nicht: Ein Bereich, der manipuliert werden kann, um Menschen völlig willenlos zu machen.