Ein Atemzug

Wie lange kann ein Mensch das Wichtigste unterdrücken, das ihn am Leben hält? Freitauchen bedeutet, mit genau dieser Grenze zu spielen.

Von Nicole Lamers und Magdalena Rössert

Aufraffen, anfangen und durchhalten: Beim Sport geht es immer darum, über eigene Grenzen zu gehen. Freitaucher*innen holen für jeden ihrer Tauchgänge nur einmal Luft, denn sie tauchen ganz ohne Tauchgerät ab. Um das zu schaffen, überwinden sie körperliche und geistige Limits. Das bringt sie nicht nur unter Wasser weiter, sondern auch im Alltag. Trotz aller positiven Aspekte bleibt der Sport eine riskante Gratwanderung zwischen Leistungssteigerung und dem Punkt, an dem der Körper nicht mehr länger ohne Luft zum Atmen auskommt.

Bei Wettkämpfen und der Jagd nach neuen Weltrekorden messen sich Freitaucher*innen in unterschiedlichen Disziplinen. Es geht um Zeit, Strecke – oder eben Tiefe:  In der Kategorie „Constant Weight“ zum Beispiel gilt es, aus eigener Flossenkraft nach unten und auch wieder nach oben zu tauchen – ohne dabei das Seil, das die Sportler*innen führt, zu berühren. Am tiefsten geht es bei „No Limits“: Hier kommt ein Schlitten zum Einsatz, der wie eine Art Aufzug funktioniert.

Wie tief geht es und was passiert dabei im Körper? Taucht hier ab!

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Der Tauchreflex setzt ein: Blut verlagert sich von Bauchraum und Beinen in Herz und Lunge. Deswegen schlägt das Herz langsamer. Der Tauchreflex sorgt auch dafür, dass die Nieren mehr Urin produzieren. Deshalb pinkeln Babys auch häufig in die Badewanne.

Elche können bis zu sechs Meter tief tauchen, um am Grund von Flüssen Wasserpflanzen abzugrasen.

Schonmal vom zehn Meter Brett gesprungen?

In zehn Metern Tiefe herrscht mit 2 bar etwa so viel Druck wie in einem Autoreifen und das doppelte des Luftdrucks an der Oberfläche. Die Lunge wird dadurch auf ihr halbes Volumen zusammengedrückt.

12 Meter ist der Plattensee (Balaton) maximal tief.

Der aktuelle Weltrekord im Kugelstoßen liegt bei knapp 15 Metern.

20 Meter tief ist der momentan tiefste Tauchturm Deutschlands in Siegburg bei Bonn. Hier trainiert Uwe Kiehl häufig.

Das Zwerchfell zuckt, wann genau ist nicht nur von Mensch zu Mensch unterschiedlich, sondern zum Beispiel auch Trainingssache. Trotz dieses Frühwarnmechanismus hat der Körper noch genug Sauerstoff.

Blauwale messen bis zu 33 Meter.

Tiefen bis 40 Meter gehören zum Standard im Freitauchen, der für Profis überhaupt kein Problem darstellt. Laut medizinischen Lehrbüchern aus der Jahrtausendwende wird die Lunge ab dieser Tiefe so stark zusammengepresst, dass sie Schaden nehmen müsste.

45 Meter tief ist der aktuell tiefste Tauchturm Europas. Er befindet sich im polnischen Mszczonow.

Uwe Kiehl schafft es, bis zu 50 Meter abzutauchen.

Schonmal eine 50-Meter-Bahn im Schwimmbad langgetaucht?

In Dubai wird es deep: 60 Meter runter geht der tiefste Pool der Welt. Er fasst 14 Millionen Liter Wasser.

Deutschlands höchster Baum ist eine 66 Meter hohe Douglasie namens Waldtraut und steht im Stadtwald von Freiburg.

Bis in etwa 70 Meter wachsen unter Wasser Seegraswiesen. 

Alexey Molchanov taucht 2021 im zugefrorenen Baikalsee 80 Meter tief. Zwei Minuten dauert der Rekordtauchgang unter Eis. 

Der Weltrekord im Speerwerfen liegt bei gut 98 Metern.

Schonmal 100 Meter gesprintet?

Freitaucher Jacques Mayol erreichte 1976 als erster Mensch 100 Meter Tiefe.

Bei 107 Meter liegt der Weltrekord der Frauen in der Kategorie „Constant Weight“, in der es gilt aus eigener Flossenkraft nach unten und auch wieder nach oben zu gelangen – ohne das Seil zu berühren. Aufgestellt hat den Rekord  Alessia Zecchini 2018.

Vier bis fünf Minuten dauert ein Tauchgang in solche Weltklassen-Tiefen insgesamt.

115 Meter misst der aktuell höchste Baum der Welt, ein Küstenmammutbaum im kalifornischen Redwood National Park.

Bei 130 Meter liegt der Weltrekord der Männer in der Disziplin „Constant Weight“, aufgestellt 2018 von Alexey Molchanov. Tiefer geht es nur noch bei „No Limits“, in der statt eigener Flossenkraft ein Schlitten zum Einsatz kommt – wie eine Art Aufzug.

Durch den sogenannten „Blood Shift“, bei dem nach dem Abtauchen stetig mehr Blut in die Gefäße der Lungenbläschen strömt, lässt sich medizinisch eine maximale Tauchtiefe von etwa 133 Metern errechnen.

Knapp 139 Meter misst die Cheops-Pyramide.

Durch den 145 Meter langen „Tunnel 57“ gelang 1964 knapp 60 Menschen die Flucht aus der DDR nach Westberlin.

157 Meter ragt der Kölner Dom in den Himmel.

„No Limits“-
Rekordhalterin ist Tanya Streeter: 160 Meter!

Mithilfe des „Lung-Packings“, einer speziellen Einatemtechnik, lässt sich bis zu 3 Liter mehr in die Lunge pressen. So kann sie dem Druck bis in etwa 163 Meter standhalten, warum es ohne Schaden auch noch tiefer geht, konnte sich die Medizin lange nicht erklären.

In der Kreidezeit vor 80 Millionen Jahren lag der Meeresspiegel 170 Meter höher als heute. Mehr Meer für die Dinosaurier.

Das Hauptgebäude der EZB in Frankfurt am Main ist 185 Meter hoch.

Bei den antiken olympischen Spielen wurde über eine Distanz von umgerechnet 190 Metern gesprintet.

Die Tauchmedizin schätzt heute, dass die endgültigen körperlichen Grenzen beim Freitauchen je nach individuellen Voraussetzungen bei etwa 200 Metern liegen. Hier herrscht ein Druck von etwa 21 bar.

Schonmal von 203 Metern Höhe die Aussicht genossen? Das geht auf dem Fernsehturm in Berlin.

Als am tiefsten tauchender Flugvogel steht die Dickschnabellumme im Guinessbuch der Rekorde. 210 Meter!

Inzwischen kennt die Medizin den Grund, warum die Lunge unter Umständen den Druck in Tiefen um 213 Meter noch aushalten kann: Das beim professionellen Freitauchen übliche Atem- und Zwerchfelltraining sorgt für Elastizität in den Geweben.

214 Meter tief ist Herbert Nitsch 2006 getaucht, „No Limits“. Weltrekord!

Im 1995 gedrehten Streifen Golden Eye stürzt sich James Bond von der 220 Meter hohen Staumauer des  Lago di Vogorno in der Schweiz.

Von Deutschlands höchster Aussichtsplattform auf dem Testturm in Rottweil hat man in 232 Metern Höhe einen schönen Ausblick auf den Schwarzwald und die Schwäbische Alb.

Gut 246 Meter misst die höchste Windkraftanlage Deutschlands in der Nähe von Stuttgart.

Der Bodensee ist mit 251 Metern der tiefste See Deutschlands.

Mit 253 Metern wollte sich Herbert Nitsch 2012 selbst übertreffen. Dabei hat er mehrere Schlaganfälle erlitten und lag zwischenzeitlich sogar im Koma. Zwei Jahre später hat er wieder mit dem Freitauchen begonnen.

Wird die Jagd in die Tiefe fortgesetzt? Fraglich. Die Kategorie „No Limits“ wurde jedenfalls wegen schwerer Unfälle wie dem von Herbert Nitsch aus den Wettkämpfen gestrichen.